Freitag, 17.September 2004, KETTCAR in Bielefeld: |
Aufstehen, Arbeit ist Scheiße, vor allem wenn man Regale einräumt. Aber
das ganz große Geld und die Traumkarriere als Abteilungsleiter
Tiefkühlkost vor Augen geht die Zeit auch vorbei. Und ab nach Hause.
Also das der Fö ja kein Metal hört kann man ihm ja noch gerade so
verzeihen. Ist halt n Mädchen, watt will ma machen, et scheint nitt
jeden Tach de Sonne. Ansonsten kann er ja mit halbwegs anständigem
Musikgeschmack auftrumpfen. Aber das der jetzt ausgerechnet noch nach
Bielefeld eiern muss, um so was wie KETTCAR zu sehen, und auch noch
sage und schreibe fünfzehn Euros dafür in die Tonne gekloppt hat, das
verstehe wer will. Also zu dem bisschen, was ich von denen gehört habe,
da fallen mir überhaupt keine Vergleiche zu ein, die auch nur annähernd
die Langweile beschreiben könnte, die da in einem aufkommt.
Aber egal, danach will er ja schnurstracks nach Berlin, ich also mit,
und mit der neuen Gottplatte „Sex, Love and Rock´n´Roll“ im CD-Schlitz
bin ich eh unantastbar! Die kann ja absolut alles! Keine Experimente!
Kein überflüssiges Geschnörkel! SOCIAL DISTORTION in ihrer reinsten
Form! Eine Gottphrase reiht sich an die nächste! Eins, setzen!
In Bielefeld selber ist der Schuppen ausverkauft, gut so, dann komme ich
wenigstens nicht auf den dummen Gedanken hier für KETTCAR noch Geld zu
latzen. Nebenbei quatschen irgendwelche Ordner die Besucher an doch
leise zu sein. Wegen den Nachbarn. Hä? Am Eingang vom Konzertsaal?
Naja. Die anderen gehen rein, und ich beschließe, während dem Konzert
einfach draußen rumzuasseln und uppzumachen. Also erst mal eine Tanke
suchen. Meine Herren, Bielefeld ist tatsächlich das verlassenste
Dreckskaff was man sich vorstellen kann, und ich weise nochmals darauf
hin: Das aus meinem Mund! Ich komme schließlich aus der Weltstadt
Morsbach, wo riesige, weiße Eier in den Bäumen hängen, was man da als
Kunst bezeichnet!
Egal. Ich setze mich also vor den Eingang, prost, und kaum geht drinnen
die Show los, ist der Platz vorm Eingang wie leergefegt. Keine Sau da.
Außer dem armen, kleinen Kollegen und seiner Büchse Bier. Also bitte,
meine Herrschaften, was soll das denn hier für ein Konzert sein? Keine
Rumasselei, niemand beschwert sich über den Eintrittspreis, und zu
allem Überfluss rennen hier Ordner rum, die jetzt schon, bei Beginn,
den Platz fegen, und ein paar leere Flaschen Bier wegräumen. Mich würde
es nicht wundern, wenn das sogar alles noch Clausthaler-Flaschen wären.
Na gut, dann drehe ich halt eine Runde hier. Vor der Tür steht so ein
verdammt amtlicher, großer, roter, zweistöckiger Bus, scheint das
Tourgefährt von KETTCAR zu sein. Sieht aus wie die Busse, die da in
London hin- und hergurken. Am Hungertuch dürften die Jungs nicht gerade
nagen. Hätt ich auch gerne. Neid!
Aber sonst ist hier echt niemand zu sehen! Außer hunderte von
Fahrrädern. Ach Du Scheiße! Studenten! Hilfe! Deswegen hatten die alle
so komische Klamotten und eigenartige Frisuren. Deswegen geht es hier
so langweilig zur Sache.
Ich mache also alleine vorm Eingang upp, und von drinnen ertönt
langsames, langweiliges Gewummer. Aber nicht so, als würde da drin was
rocken, eher, als würde die Band versuchen, alle in den Schlaf zu
spielen. Leckomat, das darf doch nicht wahr sein. Irgendwann kommt so
ein scheinbar netter, aber verpegelter Seitenscheiteltyp und erzählt
mir, das man da hinten an der Backstagetür viel mehr von der Musik
mitkriegt. Och Gottchen, Kerl, wie süß von Dir! Ich bedanke mich
freundlich und sage ihm, das ich davon eigentlich garnix mitkriegen
will. Versteht er aber nicht. Wird er wahrscheinlich erst morgen in
seiner Männergruppe verarbeiten können. Arme Gestalt!
Aber halt! Die arme Gestalt bin ich ja, und die abfälligen Blicke von
der Türsteherin sprechen Bände! Ja, tatsächlich: Eine kleine, zierliche
Frau als Türsteherin. Die rechnen hier scheinbar mit wenig
Ausschreitungen...
Hier draußen alleine auf der Bank vergeht die Zeit wie im Flug, und
irgendwann kommen alle rausgestürmt, ab auf die Fahrräder und weg.
Exakt 45 Minuten nach Konzertende ist es menschenleer rund um die
Halle. Tja, ist ja auch verständlich, nach dem Adrenalinkick erst mal
schnell nach Hause ne Tasse Fencheltee aufgesetzt, ist ja auch genuch
Aufregung für heute. Nä nä, hälste im Kopp nich aus.
Also für den Veranstalter ist eine Band, die so ein lahmes Publikum
zieht, natürlich der Himmel auf Erden: Ausverkauft, kein Ärger, nix
kaputt, alles sehr gesittet und für alle Feierabend um Mitternacht.
Perfekt! Ist ja auch irgendwie schön, wenn man als Band auf so einem
hohen Niveau Publikum ansprechen kann!
...war nur ein Witz! Wenn ich jeden Abend vor so lahmen Tröten spielen
müsste, dann müsste ich mich wahrscheinlich jedes Mal vorher ins Koma
saufen, um nicht bitterlich weinen zu müssen! Also friedliche Konzerte
in allen Ehren: Aber man kann es auch übertreiben!
Egal. Fö und ich stehen rum und warten auf Bönx, der mit nach Berlin
will. Der musste aber gerade noch ins Kino, keine Ahnung warum.
Wahrscheinlich wegen einer Frau. Warum auch sonst?
Jedenfalls steht da an der Straße eine Plastikflasche rum, halbvoll mit
Wasser. Die stupse ich mit meinem Fuß um, plumps, und werfe meine leere
Büchse Bier daneben auf den Boden. Direkt stürmt von zehn Metern weiter
ein Ordner herbei, hebt die leere Büchse auf und stellt die
Wasserflasche wieder vor meine Füße. Hä? Na ja, unsere Stadt soll
sauber bleiben. Jedenfalls kommt dann der Bönx angetapert, und ich
erzähle ihm, das die hier die Flasche immer aufheben, wenn man die
umtritt. Das muss man dem Bönxomaten natürlich nicht zwei Mal sagen,
ein Tritt, und die Flasche fliegt im hohen Bogen auf die Straße. Direkt
kommt der penible Ordner wieder, hebt die Flasche auf und brüllt total
erzürnt zu uns rüber: „Euch hat man wohl ins Gehirn geschissen!!“
Selten so gelacht!
Ey, wir stehen hier vor einem Veranstaltungsort, wo eben Ex-BUT ALIVE
gespielt haben, das muss man sich mal vorstellen! Und dann so was hier!
Vielleicht ist es echt besser, bis in alle Ewigkeit Hähnchenteile und
Fischstäbchen in Tiefkühltruhen zu räumen, und damit seinen
Lebensunterhalt zu verdienen, als sich vorwerfen lassen zu müssen, das
man in einer Lappenband, von Lappen für Lappen, Lappenmusik macht! Mit
Lappenordnern. In Bielefeld, der Stadt, die es gar nicht gibt!
Prost.
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